Ausgang
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- Philip Schlusslicht
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Noch ein mal Auslaufen, noch eine Absage an die Schleppnetze vergangener Generationen. Noch ein Aufbäumen, noch ein mal wird der Geist aufgetakelt. Eine letzte Jungfernfahrt des vermeintlich neuen Denkens ins verschleppte Altertum. Beladen mit kindlicher Unsicherheit und naiven Fragen legt der Körper ab und macht sich auf fremde Welten zu finden. Abschied nehmend von früheren Liegeplätzen und bekannten Rümpfen zieht er an den schützenden Molen der Heimat vorbei, sich langsam dem Blick in Richtung fernem Horizont entwindend.
Dem Wehr des Hafens entkommen legt sich eine sanfte Brise in die Segel und treibt frische Gedanken hervor. Harmonisch schmiegt sich Strömung an den Bug und wirbelt ihre Kreise im Sog des Hecks, im Himmel schweben Möwen als erste und letzte Botschafter des Landes. Neugierig klopfen Wellen an die Bordwand und das Denken nimmt Fahrt auf. Versunken in Vorstellung und Hoffnungen an die neue Welt gleitet es noch durch kartographierte Gewässer, das Ungesehene nicht aus den Augen lassend. Der Atem der Freiheit schmeckt salzig und verführerisch.
Geflutet vom Glauben ruht der Geist während er im Sonnenuntergang auf goldenen Straßen übers Meer fließt. Das Flackern der Gestirne ist althergebracht, überdauerte Äonen. Schon den ersten Gedanken leuchteten sie den Weg zur Ferne. Die Segel spannen im Wind, Nachtböen machen den Rumpf wanken.
Wolken mischen sich ins herabregnenden Mondlicht und Furcht beschleicht die Dunkelheit inmitten des Ozeans, erfasst kalfatertes Holz wie einst teerige Hand. Knarzende Planken offenbaren Widerstand gegen Kräfte, Struktur verformt sich. Bewegung zuckt im Augenwinkel und verschwindet im Schwarz, Unheilvolles schreitet lautlos über brechende Wellenkämme.
Im Rausch der Meere erschallen dem naiven Ohr schnell die dumpfen Rufe vergreister Ahnen, Übermut zur Last legend beschwören sie die raue See den kindhaften Gedanken einhalt zu gebieten. Kaltes Nass tobt Beifall, peitscht vom Sturm aufgehetzt in verängstigte Antlitzer bis die sich selbst das Erbarmen der Alten erbetteln hören.
Gierige Augen blicken im Zucken der Blitze mörderische Absicht, wollen den Steuermann kielholen und das Ruder selbst in die Hand nehmen. Wilde Raserei erkrallt den Geist, Donner schlagen im Takt zum kreischenden Tauwerk und das Garn der Ammenmärchen legt sich als Strick um den Hals.
Stille folgt dem Untergang. Der Rumpf an Poseidons Wut zerschellt und die Segel zerfetzt von den Klauen des Typhoeus dümpeln die Trümmer des neuen Denkens auf diesigen Gewässern dahin. Vom Unheil des Altertums gebrochene Gedankenfragmente findet der Geist über Meilen verstreut, langsam verdrängt Salzwasser die letzte Luft aus den ermorschenden Planken und zieht sie in seine Tiefen herab. Neues Leben ergießt sich über das Wrack und zersetzt dies Ende in seinen Beginn, die verschiedene Oberwelt findet ihren Fortgang am Meeresgrund.
Den tosenden Schreien geht das Verklingen der Stimmen nach während im Hafen des Altertums, Handelszentrum der Hörigen und Gelehrigen, Nachwuchs gezogen wird mit Meeres Frucht und ahnengläubigen Gedanken. Vergreisung des Geistes ist Lehrfach und der Meilenfahrt des Denkens wird gehuldigt. Die kopernikanischen Revolutionen des Lebens steht in Abrede, Ewigkeit erkennen und mit ihr den Lauf der Dinge vorreden zu wissen ist Ziel der Generationen, Wiedervereinigung mit Gewesenem und Abkehr des Kommenden Heilsvorstellung ihres unbändigbaren Strebens.
Die See hat verspeist was ihr in Fangnetzen das Land entriss und Einsamkeit befällt die modernden Knochen, verlassen wurden sie von der Einheit des Körpers und den Gedanken. Genährte Gräten tümmeln sich um Korallen, vereint haben sich die Kalkskelette und beschwichtigt ist der einst lodernde Geist, lebt fortan in der tiefen Weite des Meeres.